Sky-Serie "Ich und die anderen"

Tom Schilling im Wahnsinn der kompletten Reizüberflutung

26.07.2021, 08.31 Uhr
von Eric Leimann

Am Donnerstag (29. Juli) startet auf Sky die Eigenproduktion "Ich und die anderen" mit Tom Schilling in der Hauptrolle. Im Sechsteiler spielt er Tristan, der mit den Vor- und Nachteilen der modernen Welt konfrontiert wird – bis hin zum Gedankengewitter für Protagonisten und Zuschauer.

Wer bin ich – und wenn ja, wie viele? Der Titel des philosophischen Sachbuchs von Richard David Precht könnte Pate gestanden haben beim Konzept der Sky-Serie "Ich und die anderen". Thirtysomething Tristan (Tom Schilling) sucht nach seiner wahren Identität. Gibt es sie überhaupt? In sechs Folgen wird die Geschichte eines Jedermanns erzählt, der in einer großen Wiener Werbeagentur arbeitet. Seine Freundin (Katharina Schüttler), die er noch nicht lange kennt, erwartet ein Kind von ihm.

Man könnte denken, diesem Mann geht es gut – aber: Er hadert mit sich und der Welt. In jeder der sechs etwa 50 Minuten langen Folgen werden wie bei einer Mindfuck-Variante von "Und täglich grüßt das Murmeltier" die Karten neu gemischt. Tristan erwacht morgens im Bett, und ein Wunsch wird wahr, beziehungsweise eine schräge Idee zur Realität: Was passiert, wenn sich die anderen plötzlich so verhalten, wie wir uns das wünschen? Wie wäre es, wenn alle Menschen alles über mich wüssten, jeder meiner Gedanken für alle transparent wäre?

"Ich und die anderen" – ab 29. Juli auch komplett auf Sky Q

Oder: Was passiert, wenn mich alle Menschen lieben? Und dann ist da noch eine Folge, in der Tristan von seinem Chef einen Stöpsel ins Ohr bekommt, von dem sich später herausstellt, dass ihn bereits ziemlich viele Menschen tragen. Eine Art persönliche Super-Alexa, die dem Menschen bei jedem Schritt, jedem Dialog, den man so über den Tag abwickelt, immer die richtige und beste Lösung einflüstert.

Inklusive eines beziehungstechnischen Matching-Wertes, der dem Menschen bei jeder Begegnung sagt, woran man ist. Das klug-zynische Serien-Experiment "Ich und die Anderen", sicher nichts für Freunde konventioneller Erzählungen, steht ab 29. Juli auf Sky Q komplett zum Abruf bereit. Alternativ kann man sich die Serie auch bei Sky Atlantic wöchentlich, um 20.15 Uhr, in Doppelfolgen ansehen.

Autor und Regisseur ist der Kult-Österreicher David Schalko ("Braunschlag", "Altes Geld", "M – Eine Stadt sucht einen Mörder"), bekannt für unkonventionelles Fernsehen und mitunter verstörende Bilder- sowie Gedankengewitter. Über seine neue Serie sagt der 48-Jährige: "Am Ende ist ein Roadmovie entstanden, dessen Straßen die Gehirnwindungen unseres Protagonisten sind. Und vielleicht etwas, das es so in der Serienlandschaft noch nicht gibt."

Viel Zuspruch für die Produktion von David Schalko

Die Premiere der Serie, die mit weiteren Groß-Schauspielern wie Martin Wuttke, Sophie Rois (als Tristans Eltern), Michael Maertens (als dessen Psychotherapeut) oder Mavie Hörbiger (als ewige Jugendliebe) sehr prominent besetzt ist, war auf der Online-Berlinale im März 2021. Dort erhielt die Schalko-Produktion viel Kritikerzuspruch, auch wenn Kunst- und Künstlichkeit des Ganzen sicher nichts für jeden oder jede sind.

Tatsächlich ist "Ich und die Anderen" ein ziemlich traumhaftes Bilder- und Dialoggewitter: schräg, absurd komisch und thematisch zwischen Kommunikationstheorie und Tiefenpsychologie angesiedelt. Ein inhaltlich ziemlich scharfer Kommentar zum Leben jener Menschen, die sich derzeit das Luxusproblem leisten können, fernab existenzieller Nöte mit Themen wie Selbstoptimierung, Selbstverwirklichung, vor allem aber mit der perfekten Darstellung ihrer Persönlichkeit auf Social Media und in der Realität beschäftigt zu sein. "Ich und die Anderen" ist eine Serie über Schein und Sein – und über das Unglück, das dieser "Integrationskampf" über seine Protagonisten bringt.

Es könnte sein, dass sechsmal 50 Minuten Diskurs-Serie trotz aller absurder, komödienhafter Einfällen, trotz Musical- und sogar Splatter-Einlagen fürs breite Publikum einfach zu anstrengend ist. Dennoch muss man den Machern Respekt zollen: So fordernd, so kompromisslos war deutschsprachiges Fernsehen vielleicht nicht mehr seit jenen Tagen, als Rainer Werner Fassbinder 1980 die Serie "Berlin Alexanderplatz" in die ARD-Primetime hievte. Doch das waren andere Zeiten, mit anderen Geschichten.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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