"Flügel aus Beton"-Schauspielerin

Victoire Laly: "Es wäre so wichtig, darüber zu sprechen"

29.03.2022, 12.24 Uhr
von Franziska Wenzlick

Der ARD-Film "Flügel aus Beton" widmet sich dem Thema Suizid von Jugendlichen. Hauptdarstellerin Victoire Laly erklärt im Interview, warum sie es wichtig findet, die Problematik auch im Fernsehen darzustellen.

Victoire Laly war acht Jahre alt, als sie ihr afrikanisches Heimatland Benin verließ und mit ihrer Familie nach Berlin zog. Schon als Schülerin stand für sie fest: Sie will Schauspielerin werden. Gar kein so leichtes Unterfangen – besonders als schwarze Frau in Deutschland. Nach Auftritten in Produktionen wie dem Dortmunder "Tatort" (2015) und dem 2016 erschienen Kinofilm "The Misandrists" ist die 30-Jährige nun im bedrückenden ARD-Film "Flügel aus Beton" (Mittwoch, 30. März, 20.15 Uhr, im Ersten) zum ersten Mal in einer Hauptrolle zu sehen. Darin spielt sie eine junge Lehrerin namens Gabrielle, die den Suizid einer Schülerin aufklären will und dabei selbst immer tiefer in den Bann einer gefährlichen Online-Challenge gezogen wird. Zweifelsohne: Es ist ein schwieriges Thema, dem sich Victoire Laly in ihrer ersten großen TV-Rolle stellt.

prisma: "Flügel aus Beton" handelt vom Selbstmord einer Jugendlichen. Wird psychischen Problemen – gerade bei jungen Menschen -zu wenig Platz im deutschen Fernsehen eingeräumt?

Victoire Laly: Ich finde schon, dass die ganze Problematik sehr wenig im TV stattfindet. Es ist leider nach wie vor ein großes Tabuthema in unserer Gesellschaft. Dabei wäre es so wichtig, darüber zu sprechen. Auch, damit betroffene Leute sich nicht alleine gelassen fühlen und wissen, an wen sie sich wenden können, um über ihre Probleme zu reden.

prisma: Filme wie "Flügel aus Beton" können also auch zur Prävention dienen?

Laly: Ich hoffe es. Meistens sind alle schockiert, wenn sich ein junger Mensch das Leben nimmt, aber keiner weiß, wie es dazu kommen konnte. Ich glaube, wenn das Thema nicht so tabuisiert wäre, würden sich mehr Betroffene Hilfe suchen.

prisma: Im Film wird Suizid und selbstverletzendes Verhalten sehr explizit dargestellt. Haben Sie Bedenken, dass der Film deshalb für einige Zuschauerinnen und Zuschauer nicht geeignet sein könnte?

Laly: Es ist gut möglich, dass einige Szenen schwer anzuschauen sind für Menschen, die persönliche Berührungspunkte mit dem Thema haben. Auf der anderen Seite denke ich aber: Es kann für Menschen auch bereichernd sein, mal einen Einblick in die Gefühlswelt von Menschen mit psychischen Problemen zu bekommen. Insofern kann ein solcher Film eine Gelegenheit bieten, in der Familie über diese Dinge zu sprechen. Das ist ja kein Thema, über das man ansonsten beim Abendessen diskutiert. Filme und Serien können einiges bewirken. Vor allem, wenn sie Auswege aus der Situation zeigen.

prisma: Legen Sie Wert darauf, in Produktionen mit gesellschaftlich relevanten Themen mitzuspielen?

Laly: Total. Bis zu einem gewissen Grad ist es auch unsere Verantwortung als Künstlerinnen und Künstler, wichtige Themen anzusprechen und die Gesellschaft zu repräsentieren. Mittlerweile bin ich zum Glück an einem Punkt angekommen, an dem ich sagen kann: Ich möchte keine Rollen spielen, die den Eindruck vermitteln, die Realität widerzuspiegeln, das aber eigentlich nicht tun.

prisma: Haben Sie diesen Standpunkt schon immer vertreten?

Laly: Früher war das nicht so. Da nahm ich – wie viele Schauspielerinnen und Schauspieler am Anfang ihrer Karriere – einfach möglichst viele Rollen an. Heute sehe ich das anders.

"Es gibt kaum deutsche Filme mit einer weiblichen, schwarzen Hauptfigur"

prisma: Wie kam es, dass Sie zu Gabrielle wurden?

Laly: Ich bekam eine Casting-Anfrage, mitten in der Coronakrise. Das war eines der ersten Zoom-Castings, die ich hatte.

prisma: Zoom-Castings?

Laly: Ja, merkwürdig, oder? Ich war deshalb auch total aufgeregt. Ich fragte mich, wie das denn funktionieren soll? Wo soll ich hinschauen, in die Kamera, auf das Display? Zur Seite? Im Endeffekt war es dann aber gar nicht so komisch und lief ziemlich gut – und ich bekam die Rolle. Zu meiner Überraschung, wie ich gestehen muss.

prisma: Weshalb waren Sie überrascht?

Laly: Ich bin immer sehr skeptisch, bis ich etwas wirklich schwarz auf weiß habe. Ich habe im Hinterkopf immer diese Stimme, die sagt: Die nehmen sowieso keine Schwarze für die Hauptrolle. Erst recht keine, die so schwarz ist wie ich, mit Dreadlocks. Zum Glück wurde ich vom Gegenteil überzeugt!

prisma: Ist es als schwarze Frau für Sie schwerer, an Hauptrollen zu kommen?

Laly: Es ist als schwarze Frau allgemein schwerer, überhaupt Rollen zu bekommen. Auch normale Nebenrollen. Eine Hauptrolle ist da schon wirklich etwas Besonderes. Es gibt kaum deutsche Filme mit einer weiblichen, schwarzen Hauptfigur. Man fragt sich, warum? Den Rollen, die schwarze Frauen angeboten bekommen, mangelt es zudem oft an Qualität.

prisma: Haben Sie das Gefühl, dass sich daran derzeit etwas ändert?

Laly: Es passiert definitiv etwas in der Branche. Das zeigt ja auch "Flügel aus Beton". Ich bin auf jeden Fall guter Dinge. Es ist schön, zu sehen, dass es Menschen in der deutschen Film- und TV-Industrie gibt, die anders denken und etwas verändern wollen.

prisma: In "Flügel ohne Beton" spielt Gabrielles Hautfarbe gar keine Rolle.

Laly: Das ist auch etwas, das mir an der Figur sehr gut gefällt. Es wird kein einziges Mal thematisiert, auch über Rassismus wird im Film nicht gesprochen. Gabrielle ist einfach nur eine Lehrerin. Auch sonst war der Dreh sehr fortschrittlich.

prisma: Inwiefern?

Laly: Sowohl hinter als auch vor der Kamera waren ungewöhnlich viele Frauen am Werk. Wir hatten eine Regisseurin, eine Produzentin, eine Kamerafrau, eine Tonmeisterin, eine Schnittfrau, Redakteurinnen. Das war sehr erfrischend, und es herrschte auch irgendwie ein anderes Gefühl am Set. Zumindest für mich.

Diese Szene war am schwersten für sie

prisma: Wie herausfordernd waren die Dreharbeiten zu "Flügel aus Beton" für Sie?

Laly: Am schwierigsten war für mich definitiv eine Szene, in der Gabrielle für das Spiel eine Maus erschlagen muss. Schon beim Lesen des Drehbuchs dachte ich mir, das wird furchtbar. Ich wusste vorher schon, dass ich mir vor Mäusen ekle. Als es dann so weit war, musste ich feststellen: Es ist kein Ekel, es ist Angst.

prisma: Sie haben sich also vor einer Maus gefürchtet?

Laly: Leider. Ich hatte so Angst vor diesem Tier, obwohl es so winzig war (lacht). Die meisten anderen würden vermutlich sogar sagen, dass die Maus ganz süß war. Für mich war die Szene aber ein mentaler Kampf. Sie anzufassen, in die Hand zu nehmen. Ich kam echt an meine Grenzen. Das hatte ich bis jetzt noch nie bei einem Dreh.

prisma: Der Maus ist aber nichts passiert?

Laly: Nein, der geht es gut! Es wurden keine Mäuse am Set verletzt (lacht).

prisma: Können Sie sich mit Gabrielle, Ihrer Rolle im Film, identifizieren?

Laly: Auf jeden Fall. Mir fiel gleich zu Beginn auf, dass Gabrielle einfach nur eine Frau und ihre Hautfarbe irrelevant ist. Sie hat ihre Schattenseiten, ist aber auch stark und zieht ihr Ding durch. Dass sie psychische Probleme hat, ändert nichts daran, dass sie sich um ihre Schwester kümmert und eine gute, leidenschaftliche Lehrerin ist. Das gefiel mir – und ich konnte einige Parallelen zu mir entdecken.

prisma: Zum Beispiel?

Laly: Gabrielle ist ein Mensch, der niemanden um Hilfe bittet. Auch dann nicht, wenn es eigentlich dringend nötig wäre. Das ist etwas, das ich leider auch lange Zeit getan habe und manchmal auch immer noch tue. Oft bin ich wie Gabrielle der Meinung, alles alleine schaffen zu müssen.

prisma: Gabrielle und ihre jüngere Schwester Ava stehen sich sehr nahe. Sind Sie auch ein Familienmensch?

Laly: Auf jeden Fall! Mir ist Familie total wichtig. Ich selbst habe vier Geschwister. Klar, es gibt immer Zoff, und man ist sich nicht immer einig (lacht). Aber am Ende halten alle zusammen. Ich bin sehr froh, eine große Familie zu haben, die immer für mich da ist.

prisma: Wollten Sie schon immer Schauspielerin werden?

Laly: Ja. Schon in der Schule stand ich auf der Bühne und war immer in der Theater-AG. Das war immer Teil meines Lebens. Es gab aber keinen bestimmten Moment, in welchem ich gesagt hätte: Ich will Schauspielerin werden. Der Wunsch war einfach immer da.

prisma: Sie haben allerdings keine klassische Schauspielausbildung absolviert.

Laly: An erster Stelle stand für mich immer, meine Existenz zu sichern. Deswegen war das mit der Schauspielerei unter Vorbehalt, und ich hatte auch immer Nebenjobs. Ich wollte gerne Schauspiel studieren, traute mich aber nie so richtig, mich an einer Schule zu bewerben. Dazu kamen persönliche Umstände, die das nicht so einfach möglich gemacht hätten. Irgendwann beschloss ich dann, mir eine Agentur zu suchen und es auf diesem Weg zu versuchen.

Viola Davis ist ihr Vorbild

prisma: Von welchen Rollen träumen Sie?

Laly: Hätten Sie mich das vor einem Jahr gefragt, hätte ich definitiv so eine Figur wie Gabrielle beschrieben. Einfach nur eine normale Frau zu spielen, die ihre Stärken und ihre Schwächen hat, das gefällt mir. Insofern hat sich dieser Traum bereits erfüllt. Es gibt aber viele Rollen, in die ich gerne mal schlüpfen würde. Ich mag spannende Geschichten und würde gerne einmal die Heldin oder Antagonistin in einem Thriller oder Drama spielen. Ich könnte mir auch durchaus vorstellen in einer romantischen Komödie mitzuspielen. Die Frau zu sein, in die sich der Typ verliebt (lacht). Warum auch nicht?

prisma: Sind Sie privat auch ein Romcom-Fan?

Laly: Eher weniger. Klar, ab und zu ist das nicht verkehrt. Eigentlich schaue ich aber lieber spannende Filme und Serien. Zum Beispiel "How to Get Away with Murder" mit Viola Davis, die ohnehin ein großes Vorbild für mich ist. Es ist so faszinierend, mit welcher Präzision sie spielt. Da kann man sich so einiges abschauen ...

(Falls auch Sie unter Depressionen leiden und / oder Selbstmord-Gedanken haben, empfiehlt sich eine umgehende Kontaktaufnahme zur Telefonseelsorge: www.telefonseelsorge.de. Des Weiteren können Sie sich von Beratern unter den Nummern 0800-1110111 sowie 0800-1110222 einen Ausweg aus bedrückenden Situationen aufzeigen lassen.)


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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