Musiker im Interview

Megaloh: "Warum sollen ausgerechnet Rapper die Moralwächter der Gesellschaft sein?"

von Daniel Schieferdecker

Megaloh gehört seit Langem zu den erfolgreichsten Rappern Deutschlands. Als er bei Markus Lanz zu Gast war, wurde das dann auch seiner Mutter klar.

Der Berliner Megaloh ist nicht nur einer der begnadetsten Rapper des Landes, sondern auch einer, der sein künstlerisches Können mit Message versieht. Das ist auch auf seiner neuen EP "Hotbox" nicht anders. Im Interview spricht der 39-Jährige über Verantwortung, das Verhältnis zu seinen Eltern und den pädagogischen Wert von Rapmusik.

prisma: Wann haben Sie HipHop seinerzeit für sich entdeckt?

Megaloh: 1993, da war ich zwölf. Da kam "Doggystyle" von Snoop Dogg raus. Das war die erste HipHop-Platte, die ich bekommen und bewusst wahrgenommen habe. Bei Partys haben aber auch "The Chronic" und generell Westcoast und G-Funk eine Rolle gespielt. Und Snoop kam damals auf uns zugerollt wie eine Welle. Davon waren wir alle infiziert, das hat an meiner Schule alle erreicht. Damals hat man entweder Punk oder Rap gehört – und mit "Doggystyle" war es direkt um mich geschehen. Ich fing dann auch direkt an, Texte zu schreiben, zuerst auf Englisch. Englisch ist ja meine Muttersprache, aber trotzdem war das superwhack und billig. Das würde ich heute niemandem mehr zeigen (lacht). Damals war natürlich noch nicht abzusehen, dass ich mal Rapper von Beruf werde. Aber ich hatte bereits das unstillbare Verlangen, mich selbst kreativ damit auseinanderzusetzen. Und an dieser Leidenschaft hat sich bis heute nichts geändert.

prisma: Wie sah dieses Selbermachen damals konkret aus? Rappten Sie über die B-Seiten-Instrumentals von US-Rap-Maxis?

Megaloh: Ja, tatsächlich. Damals hatte ich ganz neu einen CD-Player bekommen und rappte dann über die Instrumentals auf den Maxi-CDs. Meine erste Maxi war "Paparazzi" von Xzibit. Aufgenommen habe ich mich auf Tape. Ich hatte ein Doppel-Tapedeck, habe damit den Beat auf Kassette überspielt und darüber gerappt. Qualität Katastrophe. (lacht)

prisma: Die erste Single zu Ihrer neuen EP wurde mit sehr viel Vorlauf veröffentlicht ...

Megaloh: Ich wollte mir einfach Zeit lassen, um die Leute anzuteasern. Du hast dann einfach mehr Leute, die dich auf dem Schirm haben. Wenn du ein Hype-Thema bist und eine sehr junge Kundschaft hast, die sehr impulsiv ist, brauchst du nicht so lange Vorlauf, um zu droppen. Aber in meinem Fall macht das Sinn. Und weil die EP nun schon ein bisschen anders klingt als die Sachen vorher, wollte ich die Reaktionen testen.

prisma: Wie war die Resonanz auf den Song "Was ist das?"

Megaloh: Gut! Für meine Verhältnisse hat das auch mehr und schnellere Klicks auf Spotify generiert, als ich das sonst so kenne – das entwickelte sich in der Vergangenheit immer eher langsam. Ich war damit auch in guten Playlisten mit vielen Hörern. Die Leute waren gespannt, in welche Richtung das jetzt weitergeht.

prisma: Nachdem Sie auf der EP auch wieder ernste Themen behandeln: Hat Rap Ihrer Meinung nach einen pädagogischen Wert?

Megaloh: Auf mich hatte das einen extremen Einfluss hinsichtlich meines Erwachsenwerdens – und zwar in eine gute und auch eine schlechte Richtung. In Sachen Selbstermächtigung war das wichtig, weil man instruiert bekommen hat, an sich selbst zu glauben – dass man es zu was bringen und herausstechen kann. Dieser Spirit, einer von einer Million sein zu können. Das ist halt was anderes als die typisch deutsche Arbeitnehmermentalität.

prisma: Als Künstler haben Sie sich bewusst dagegen entschieden.

Megaloh: Wenn es nach meinen Eltern gegangen wäre, hätte ich eine akademische Laufbahn eingeschlagen. Meine Mutter stammt ja aus Nigeria und schaffte es über eigene Leistung in der Schule, ein Stipendium zu bekommen und zu studieren. Ihr wurde wirklich nichts geschenkt. Sie ging dann in die USA, lernte dort meinen Vater kennen und entschied sich zusammen mit ihm, nach Deutschland zu kommen. Mein Vater ist halb Deutscher, halb Holländer und promovierte damals in den USA. Er ist Soziologe gewesen.

prisma: Warum sind Sie nach Deutschland gezogen?

Megaloh: Aufgrund von Rassismus, der war in den USA einfach noch krasser. Ansonsten wäre ich wohl Ami geworden – wäre für Rap vielleicht besser gewesen.

prisma: Wer weiß ...

Megaloh: Von meinen Eltern aus betrachtet war eigentlich sehr klar, dass ich als erster Sohn einen akademischen Weg gehen muss, um dadurch auch ein Vorbild für die anderen Kinder in meiner Familie zu sein. Ich entschied mich aber dagegen – auch wenn es rückblickend betrachtet keine leichte Entscheidung war, das durchzusetzen. Worauf ich aber hinauswollte: Den Glauben und die Kraft dazu gab mir Rap – ganz klar.

prisma: Also ist der Einfluss, den Rap auf Sie ausgeübt hat, in erster Linie positiv?

Megaloh: Ach, es gibt sicher auch Einflüsse, die der eine oder andere eher negativ bewerten würde. Snoop hat mich definitiv zum Kiffen gebracht – und das ist auch bis heute geblieben. Ich selbst bewerte Kiffen aber nicht als schlecht – auch wenn das unter Umständen natürlich auch zu einem Problem werden kann, wenn man dahingehend vollkommen unreflektiert nur seinen Idolen nacheifert. Aber für mich war es grundsätzlich keine falsche Erfahrung zu kiffen.

prisma: Aktuell wird im Rap der Konsum von sehr viel härteren und gefährlicheren Drogen propagiert.

Megaloh: Ja, das stimmt. Und es ist sicher richtig: Durch Rap wird Jugendlichen das schmackhaft gemacht. Ich bin allerdings auch nicht der Meinung, dass man jetzt mit der Zensurkeule kommen und sagen sollte: Die Rapper dürfen das nicht. Denn wo fängst du da an? Andere Dinge haben auch einen Einfluss – Actionfilme zum Beispiel. Und warum sollen ausgerechnet Rapper die Moralwächter der Gesellschaft sein? Rapper sind wie Filme ein Abbild der Gesellschaft.

prisma: Was in Raptexten heute vor allem gefeiert wird, ist die Medikamentenkultur in den USA ...

Megaloh: Genau – und die ist ja so, wie sie ist, dafür können die Rapper nichts. Da bekommst du eben alles legal, und das kann dich süchtig machen. Teilweise sind Medikamente frei zugänglich, die vom Suchtpotenzial auf einem ähnlichen Level anzusiedeln sind wie Heroin. Und darüber reden die Rapper eben.

prisma: Hierzulande ist das anders.

Megaloh: Klar. Die Kultur aus den Staaten wird hier aufgesogen und glorifiziert. Das ist kein Abbild unserer Realität, denn diese Medikamentenkultur haben wir hierzulande nicht. Wir feiern nur den Film, den die Rapper da drüben fahren. Ich finde den Ami-Film auch legitim und stehe eher dem Film, den wir hier fahren, kritisch gegenüber, weil es nur das Abfeiern des Styles ist und nichts mit unserer Lebensrealität zu tun hat. Hier ist es deutlich schwieriger, an Codein heranzukommen – aber es ist natürlich machbar.

prisma: Das ist aber eine Huhn/Ei-Frage. Denn wenn das lange genug adaptiert wurde, ist es eben auch irgendwann Teil unserer Lebensrealität.

Megaloh: Hier ist das aber nur Lifestyle. Drüben ist das Sozialsystem eben noch beschissener: Dir wird da nicht geholfen – außer durch Medikamente. Und es ist eben leicht, darauf klebenzubleiben. Hier feiert man ja lediglich den Style, weil die Amis es eben immer schaffen, aus Abgefucktheit einen Style zu machen. Wir fressen und recyclen das. Das würde ich getrennt betrachten und stehe der deutschen Rapszene daher auch nach wie vor kritisch gegenüber.

prisma: Sie meinten eben, dass Sie sich bewusst gegen eine akademische und für eine Rap-Karriere entschieden haben – gegen den Widerstand der Familie. Mussten Sie große Kämpfe mit den Eltern ausfechten?

Megaloh: (lacht) Ja, kann man so sagen – vor allem gegen meine Mutter. Sie kommt eben aus einfachen Verhältnissen, kennt Armut und floh aus einem kleinen Dorf in Nigeria vor dem Bürgerkrieg. Durch ihre Aufopferung und auch die Aufgabe eigener Lebenswünsche hat sie mir das Privileg ermöglicht, es besser zu haben. Und meine Mutter war dadurch ganz gut darin, mir mit nigerianischer Härte ein schlechtes Gewissen zu machen. (grinst)

prisma: Durch das, was sie für Sie aufgegeben und geleistet hat, gab sie Ihnen aber auch die Möglichkeit zur Entscheidung, Rapper zu werden.

Megaloh: Absolut. Und genau so kann ich das auch mittlerweile betrachten. Wir haben beide unseren Frieden damit gemacht. Sie sieht ja auch, dass ich glücklich und angekommen bin und dass ich meine Familie ernähren kann – das war für sie eben auch immer das Wichtigste.

prisma: Gab es einen speziellen Punkt, an dem sie ihren Frieden damit gemacht hat?

Megaloh: Man muss dazu sagen, dass sie weder meine Musik hört, noch einen Bezug zu deutschem Rap hat. Mit lyrischer Finesse muss ich ihr gar nicht kommen. Wenn überhaupt kommt sie über den Beat. Zu "Oyoyoy" vom letzten Album meinte sie: "Endlich mal ein Beat, zu dem man tanzen kann." Ihr Fazit zu meinen Sachen lautet: "Mach mehr Musik, zu der man tanzen kann." Aber um auf die Frage zu antworten: Es waren Fernsehauftritte. Als ich bei Markus Lanz war ... – völlig bescheuert.

prisma: Der Klassiker: Die ältere Generation erkennt Erfolg erst, wenn er über den Bildschirm flimmert.

Megaloh: Ja, weil sie dann von Freundinnen darauf angesprochen wird. "Wow! Dein Sohn war ja im Fernsehen. Du musst ja wahnsinnig stolz auf deinen Sohn sein" – und das war sie dann auch (lacht). Aber alles gut. Man muss im Leben eben auch lernen, dass man die Dinge für sich machen muss und nicht, um anderen zu gefallen – das ist eine ganz wichtige Lektion. Das war in der Vergangenheit sehr schwer. Und ich bin dankbar und privilegiert, mittlerweile an diesem Punkt angelangt zu sein, von der Musik leben zu können.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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