Mary Roos

"Ich habe mich selbst erst mit 35 gemocht"

von Katja Schwemmers

Sie vertrat Deutschland 1972 und 1984 beim ESC, sang mit Kermit dem Frosch, und Gunter Gabriel war einst Leiter ihres Fancblubs: Im Interview zu ihrem 70. Geburtstag blickt Mary Roos auf ein erfülltes Künstlerleben zurück.

Mary Roos ist eine Marke in der deutschen Musiklandschaft. Seit 61 Jahren steht sie auf der Bühne; sie veröffentlichte 30 Alben mit Liedern wie "Arizona Man" und "Aufrecht geh'n" und nahm zweimal am Finale des Eurovision Song Contest teil (1972 und 1984). Am 9. Januar feiert die Schlager- und Chanson-Sängerin ihren 70. Geburtstag. Ans Aufhören denkt sie nicht – warum auch? Für ihre Schlager-Revue "Nutten, Koks & frische Erdbeeren" mit Kabarettist Wolfgang Trepper gab es 2018 den "Live Entertainment Award". Seit ihrer Teilnahme bei "Sing meinen Song – Das Tauschkonzert" ist auch die jüngere Zielgruppe verrückt nach Mary. Ab 1. März ist Mary Roos mit ihrer Solotour unterwegs, die wie ihr letztjähriges Album den Titel "Abenteuer Unvernunft" trägt. Beim Interview in Hamburg erzählt sie von Paris-Gastspielen, Grand-Prix-Erinnerungen, ihrem Kollegen Mark Forster und dem Glück im Alter.

prisma: Frau Roos, vor ein paar Jahren sagten Sie, Sie wollen eine schrille Alte werden. Wie weit sind Sie mit dem Unterfangen?

Mary Roos: Mein Wunsch ist wirklich in Erfüllung gegangen! Schriller als ich kann man kaum werden (lacht). Es ist so unglaublich viel passiert. Wolfgang Trepper und ich haben einen Riesenerfolg mit "Nutten, Koks & frische Erdbeeren". Wir sind jetzt schon im vierten Jahr unterwegs, 180 Vorstellungen liegen hinter uns. Das ist einfach ein Geschenk.

prisma: Wie viel Mut gehört dazu, sich im Alter noch mal neu zu erfinden?

Roos: Wenn du keinen Mut hast im Leben, gehst du unter. Mut bedeutet, Dinge zu wagen, die erst so aussehen, als würde man sie gar nicht packen. Was das für eine Freude macht, wenn man es dann doch gepackt hat! Was das für eine Bestätigung ist! Das kann auch im ganz Kleinen sein. Ich kenne Frauen, die mit 40 schon sagen: "Eigentlich ist ja alles vorbei." Da denke ich dann: Wie? Ja, wenn du zu Hause sitzt, passiert auch nichts. Man muss schon rausgehen.

prisma: Sie arbeiteten 2018 viel mit jungen Menschen – sowohl für Ihr Album "Abenteuer Unvernunft" als auch bei "Sing meinen Song". Wie war das für Sie?

Roos: Durch "Nutten, Koks & frische Erdbeeren" hatte ich schon sehr viele junge Fans dazugewonnen. Ich war trotzdem sehr aufgeregt bei "Sing meinen Song". Ich dachte: "Herrje, wenn die Armen jetzt meine Lieder aus den 70ern singen müssen!" Und dann kam Mark Forster und sang "Nur die Liebe lässt uns leben" – meinen ESC-Titel von 1972. Ich war begeistert. Mark ist mir eh ganz nah. Der ist immer so wie er ist, der spielt nicht. Wir singen das Lied nun auch in meinem Bühnenprogramm per Videowand zusammen.

prisma: Gab der jüngste Erfolg Ihrem Leben noch mal eine Wendung?

Roos: Schon. Ich hatte immer noch mehr erwartet von mir selbst. Ich dachte, dass ich noch mal andere Dinge ausprobieren könnte. Momentan ist das meine Solotour, die meine erste und einzige Solotour bleiben wird. Das sind 30 Abende mit Orchester, Videowand und einer Showtreppe mit fünf Stufen.

prisma: Wie hoch sind Ihre Absätze?

Roos: Sehr hoch. Ich bin ja eine Kleine. Das Schöne ist, dass die Leute nach der Show rausgehen, glücklich sind und sich selbst fragen: "Wenn die Frau das schafft in dem Alter, wieso kann ich das nicht?"

prisma: Was denken Sie, wenn Sie Fotos von sich von früher sehen?

Roos: Ich fand mich früher gar nicht so attraktiv. Ich probierte damals alles aus: von kurzen Haaren bis hin zur Dauerwelle. Es gibt Fotos, auf denen ich sehr schön bin. Da hat man bestimmt einen Damenstrumpf über die Linse gehalten (lacht). Ich habe mich selbst erst mit 35 gemocht. Da dachte ich das erste Mal: Doch, doch, das ist alles ganz gut so. Und wenn man sich selbst mag, kann man auch andere besser mögen.

prisma: Stimmt es, dass Sie noch nie eine Diät gemacht haben und auch keinen Sport treiben?

Roos: Das stimmt. Manchmal, wenn ich mir andere Menschen in meinem Alter angucke, denke ich schon: Du müsstest eigentlich ein bisschen mehr wie die sein. Aber ganz ehrlich: Wenn es Tabletten gäbe, die einen jünger aussehen lassen – ich würde sie nehmen! Ich warte darauf, dass diese Pille erfunden wird. Es wäre schön, wenn das noch passiert, bevor ich 80 werde.

prisma: Am 9. Januar werden Sie aber erst mal 70. Wie feiern Sie Ihren Geburtstag?

Roos: Ganz ruhig mit Freunden. Und zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder in Hamburg. Ich habe eine Befürchtung, die hoffentlich nicht wahr wird, nämlich dass ich eine Torte kriege mit einer goldenen "70" drauf. Die würde ich sofort rausschmeißen! Das finde ich ganz furchtbar.

prisma: Als Sie Kind waren, hatten Ihre Eltern ein Hotel in Bingen am Rhein. Wie war es für Sie, in diesem Umfeld aufzuwachsen?

Roos: Es war immer viel los. Wir hatten immer einen Tanztee um 17 Uhr, dort sang ich und wurde entdeckt. In Bingen am Rhein, wo ich auch geboren wurde, nahm ich mit neun Jahren meine erste Platte auf. In dem Alter kennt man keine Zweifel. Ich bin da hingegangen, habe gesungen und sogar noch gelispelt. Das Lispeln konnte ich nachher wegtrainieren. Ich war zwar schüchtern, aber ich war auch frech auf der Bühne. Da hat sich nicht viel geändert.

prisma: Sie waren später als Künstlerin sehr umtriebig und starteten viele verschiedene Projekte.

Roos: Ganz verschiedene, ja. Ich spielte Theater in Frankreich und konnte kein Wort Französisch! Die Franzosen wussten das gar nicht. Ich habe mir die Texte in Phonetik aufgeschrieben und hatte keinen Akzent – das ist das Verrückte! Aber ich sang auch auf Schwedisch und Japanisch, das funktionierte auch. Ich habe wohl gute Ohren.

prisma: Sie traten mehrere Wochen im Pariser Olympia auf. War Ihnen damals schon bewusst, dass Sie eine von ganz wenigen Deutschen sind, denen diese Ehre zuteil wurde?

Roos: Ich bin sogar die Einzige, der das passiert ist. Reinhard Mey ist der andere Deutsche. Das war schon eine tolle Zeit. Ich wollte ja immer Chanson-Sängerin werden. Françoise Hardy und Edith Piaf waren meine Königinnen!

prisma: Eine Karriere als Chanson-Sängerin – warum ist damals vorerst nichts daraus geworden?

Roos: Leider war diese Musik in Deutschland überhaupt nicht angesagt zu der Zeit. Das war traurig für mich, aber ich sagte mir dann: "Okay, wenn du jetzt mit etwas anderem Erfolg hast, kannst du dir vielleicht etwas aufbauen und dich mit der Zeit verändern." Und genau das ist passiert.

prisma: Country-Sänger Gunter Gabriel soll zeitweise Ihr Fanklub-Leiter gewesen sein ...

Roos: Als er noch nicht bekannt war, ja. Vermutlich war er Angestellter bei der Plattenfirma. Ich selbst erinnere mich da gar nicht daran und habe auch nie herausbekommen, was da genau los war.

prisma: Wenn Ralph Siegel der ESC-Papst ist, sind Sie die Lady Grand Prix in Deutschland: Fünfmal haben Sie beim Vorentscheid teilgenommen, zweimal waren sie beim Songwettbewerb dabei.

Roos: Das sind natürlich tolle Erinnerungen, die mich mein ganzes Leben begleiten. Ob Jung oder Alt – es gab niemanden, der diese Sendung damals nicht gesehen hat. Früher entstanden dadurch Karrieren wie die von ABBA oder Johnny Logan. Und ganz egal, wann es heute stattfindet: Ich guck mir das an! Wenn ich einen Job habe, dann frage ich sogar Kollegen, ob sie mit mir die Auftrittszeit tauschen können. Oder ich zeichne es mir auf. Für mich hat das sehr viel mit Nostalgie zu tun.

prisma: Aber Sie würden nicht mehr teilnehmen?

Roos: Bis vor ein paar Jahren hatte ich noch das Angebot, aber ich würde das heute nicht mehr machen, nein.

prisma: Sie traten auch einmal in einer Folge der "Muppet Show" auf. Wie kam es dazu?

Roos: Jim Henson lud mich nach London ein. Ich sang ein Duett mit Kermit, das gibt es auch auf meiner Tour zu sehen. Ich musste live in Englisch und Deutsch singen und einen Sketch mit dem Pianisten Rowlf, Miss Piggy und den anderen Figuren spielen. Die "Muppet Show" war damals das Größte überhaupt. Alle wollten das machen. Ich war die einzige Deutsche, die jemals in der "Muppet Show" aufgetreten ist. Ich hatte immer das Glück, die tollsten Sachen zu bekommen.

prisma: Gab es auch schlechte Jahre, in denen Sie nicht so glücklich waren?

Roos: Die hatte ich eigentlich nicht. Ich nahm das Leben einfach so, wie es kam. Panik kenne ich nicht. Ich wusste immer, dass ich mein Geld verdienen würde. Ich hatte auch nie solche Gedanken wie "Was sagen dann die Leute, wenn ich etwas anderes mache?" Die Meinungen anderer waren mir immer egal.

prisma: Hätten Sie sich auch hinter eine Kasse gesetzt?

Roos: Natürlich, wenn ich gemusst hätte! Aber einen Plan B gab es nicht. Zu Zeiten der Neuen Deutschen Welle war ich ja auch wenig aktiv – ich wollte auf den Zug nicht mit aufspringen. Ich ließ mich schon als Teenagerin nicht verbiegen.

prisma: Sie haben nie den Führerschein gemacht. Warum nicht?

Roos: Ich habe es einmal probiert. Dann gab es den Vorfall, dass ich nicht schnell genug in den ersten Gang kam. Der Fahrer hinter mir hat wild gehupt. Ich stieg aus und stellte ihn zur Rede: "Sagen Sie mal, sehen Sie nicht, dass ich eine Fahrschülerin bin?" Dann stieg ich wieder ins Auto und befand: So, das war's, das brauche ich nicht. Damit war das Thema für mich beendet. Mein Fahrlehrer sagte immer: "Aber Sie fahren doch so gut!" Aber nein, ich erkannte rasch, dass das nichts für mich ist.

prisma: Sie sollen Hotels mögen. Liegt Ihnen das Touren deshalb besonders?

Roos: Ich liebe Tourneen generell, wenn die Leute stimmen, mit denen man dann ja auf engstem Raum zusammen ist. Ich bin gerne mit anderen zusammen, sitze gerne mit einer Großfamilie um einen langen Tisch herum. Wenn ich nicht Sängerin geworden wäre, hätte ich wohl bei einer Bauernfamilie angeheuert (lacht).

prisma: Haben Sie sich Reisen vorgenommen?

Roos: Eine auf jeden Fall, weil ich das meiner vor vielen Jahren verstorbenen Mama versprochen habe: Sie interessierte sich immer für China und las die Bücher von Pearl S. Buck über die Kaiser in der verbotenen Stadt. Sie bat mich: "Kannst du für mich nach China fahren?" Das muss ich noch machen, dann habe ich meine Aufgabe erfüllt. Wenn ich dann in den Kaiser-Palast gehe, weiß ich ja, dass sie das mitkriegt da oben.

Mary Roos auf Tour:

01.03. Würzburg, Congress Centrum

02.03. Stuttgart, Liederhalle Helgesaal

04.03. Chemnitz, Stadthalle

23.03. Halle/Saale, Steintor-Variete Halle

24.03. Erfurt, Alte Oper

02.04. Dresden, Konzertsaal im Kulturpalast

04.04. Rostock, StadtHalle Rostock

05.04. Bremen, Metropol Theater

06.04. Lübeck, Musik- und Kongresshalle

10.04. Frankfurt, Jahrhunderthalle

11.04. Wuppertal, Historische Stadthalle

12.04. Frankfurt, Jahrhunderthalle Frankfurt

13.04. Bielefeld, Stadthalle Bielefeld

14.04. Düsseldorf, Mitsubishi Electric Halle

27.04. Flensburg, Deutsches Haus

28.04. Hannover, Theater am Aegi

29.04. Leipzig, Haus Auensee

30.04. München, Circus Krone

02.05. Köln, Lanxess Arena

03.05. Magdeburg, AMO Kulturhaus


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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