ARD-Porträt

Rassismus, Fußball-Karriere und Krebs – Jimmy Hartwigs bewegtes Leben

von Andreas Schoettl

Als Kind wurde er mit dem Rassismus des eigenen Großvaters konfrontiert. Später startete Jimmy Hartwig als Fußballer durch, doch das Schicksal hatte noch so manchen Schlag für ihn vorgesehen. Unterm Strich aber bleibt der gebürtige Offenbacher ein Gewinner, wie ein ARD-Porträt zeigt.

ARD
Echtes Leben: Jimmy Hartwig – Liegenbleiben ist keine Option
Dokumentation • 28.06.2020 • 17:30 Uhr

Sehr zufrieden wirkt Jimmy Hartwig. Seine Tochter wirft unter seiner Obhut derweil einen größeren Stein ins Wasser. Hartwig, mit seinen nunmehr 65 Jahren inzwischen in Würde ergraut, trägt kurze bayerische Lederhose. Die dicken Strümpfe sind akkurat hoch bis unter die Knie gezogen. Die sorgsam gewählte Tracht deutet an, dass er angekommen ist. Hartwig, ehemaliger Bundesliga-Profi unter anderem beim Hamburger SV, dreifacher Deutscher Meister und Gewinner des Europapokals der Landesmeister (1983), lebt heute glücklich mit der eigenen Familie in Inning am Ammersee unweit von München. Er sagt: "Das Beste ist, dass es Menschen gibt, die mich so lieben, wie ich bin."

Das allerdings ist nicht immer so gewesen. Ganz im Gegenteil! Hartwig ist am 5. Oktober 1954 in Offenbach am Main zur Welt gekommen. Und das als uneheliches Kind – zudem ausgerechnet als Sohn eines dunkelhäutigen amerikanischen Soldaten. Vor allem dem Großvater war das farbige Enkelkind immer ein Dorn im Auge. "Meine Mutter musste immer aufpassen, dass er mir als kleines Kind kein Kissen ins Gesicht drückt", erzählt Hartwig. Der sehenswerte Porträtfilm von Stefan Panzner, der bereits bei den renommierten "Lebenslinien" im Bayerischen Fernsehen zu sehen war, führt auch zurück in Hartwigs Kindheit.

Aufgewachsen in der Offenbacher Kirschenallee, wo heruntergekommene Nachkriegsbaracken noch bis in die 1960er-Jahre weder über einen Strom- noch einen Wasseranschluss verfügten, erlebt William Georg "Jimmy" Hartwig zunächst bittere Armut und dann vor allem Abneigung. Es war wiederum der eigene Großvater, der das ungeliebte Kind quälte. Einmal lockte er den jungen William sogar mit voller Absicht in ein Brennnesselfeld. Unter Tränen fragt Hartwig heute: "Wie kann man ein Kind, nur weil es eine andere Hautfarbe hat, nur so scheiße behandeln?" Hartwigs Mutter hatte für ihren Sohn in der Schule derweil einen anderen Tipp parat: "Wenn sie dich bespucken, dann darfst du nichts machen." Als Rettung blieb wenigstens der Fußball.

Dass Hartwigs bewegtes Leben überhaupt in einen nur 45-minütigen Film passt, verwundert umso mehr, da nach seiner durchaus erfolgreichen sportlichen Karriere die Achterbahnfahrt des Lebens erst richtig Fahrt aufnahm. Nach dem Karriereende folgten der finanzielle Ruin aufgrund windiger Berater und der persönliche Abstieg. "Ich habe mich auf gewissen Sachen eingelassen, auf die ich mich besser nicht eingelassen hätte. Gewisse Sachen zu nehmen, wo man Glückseligkeit hat. Wo man denkt, alles wieder gut. Du bist himmelhochjauchzend, stundenlang, und auf einmal fällst du wieder in das tiefe Loch rein", umschreibt Hartwig eine Zeit, in der er auch zu Drogen griff. Doch es kam noch schlimmer. Mit nur 37 Jahren wurde bei ihm Prostatakrebs diagnostiziert, zwei Jahre darauf folgte Hodenkrebs.

Im Film sitzt Hartwig derweil in der Offenbacher Marienkirche. Hier hatte er sehr viel Zeit verbracht, als er gegen seine Krebserkrankungen kämpfen musste. Seine Rettung kam womöglich aus göttlicher Richtung. "Ich habe damals erkannt, der liebe Gott hat mir die Krankheit als Prüfung gegeben. Ich sollte über mein Leben nachdenken", erinnert sich der ehemalige Bundesliga-Star an seine wohl schwerste Zeit eines ohnehin prall gefüllten Lebens mit vielen Triumphen und noch mehr Niederlagen.

Hartwig hat wohl sehr viel nachgedacht. Sein Leben erscheint endgültig geordnet: als Vater, als Ehemann, als Integrationsbotschafter des DFB im Kampf gegen Diskriminierung und Rassismus sowie nunmehr sogar als Schauspieler, der sich auf Bühnen etwa in Leipzig, Weimar oder Augsburg längst einen Namen gemacht hat.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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