Hannes Jaenicke

"Die Menschen in Holland sind auffallend tiefenentspannt"

von Eric Leimann

Schauspieler Hannes Jaenicke zeigt sich begeistert vom jüngsten ARD-Donnerstagskrimi aus Amsterdam, in dem er einen deutschen Ermittler im Undercover-Einsatz spielt. Tatsächlich hebt sich sein "Amsterdam-Krimi" (Donnerstag, 22. November, 20.15 Uhr, ARD) von sonstigen Produktionen ab, in denen deutsche Darsteller vor Postkartenmotiven Portugiesen, Türken oder Kroaten spielen.

Stattdessen erzählt der neue Donnerstags-Krimi einen wolkig düsteren Thriller-Plot, der wenig Urlaubsatmosphäre aufkommen lässt. Im Interview erklärt Hannes Jaenicke, warum er Holland-Fan ist und was im deutschen Krimi besser werden muss. Dazu zieht der 58-Jährige ein gemischtes Fazit seiner bisherigen Tier- und Naturschutzprojekte.

prisma: Bei den Auslands-Krimis der ARD hat man meist den Eindruck, die Drehbücher wurden nur geschrieben, damit man Postkartenmotive schöner Städte zeigen kann.

Hannes Jaenicke: Finden Sie, dass es beim Amsterdam-Krimi genauso ist?

prisma: Nein. Man sieht, dass Sie eine spannende Geschichte erzählen wollen.

Jaenicke: Wir haben über drei Jahre lang an den Drehbüchern gearbeitet und den Dreh immer wieder verschoben – bis etwas herauskam, das wir richtig spannend fanden: ein Film im Milieu von verdeckten Ermittlern. Normalerweise liegt in deutschen Krimis immer eine Leiche im Bild. Und dann wird 90 Minuten lang gefragt, wer der Täter war. Wir wollten mal etwas völlig anderes probieren.

prisma: Was genau wollten Sie anders machen?

Jaenicke: Wir wollten ins Thriller-Genre. Irgendwann fanden wir dank der Degeto-Redaktion Peter Koller, einen jungen Österreicher, der ganz anders schreibt als die Autoren, die sonst auf deutsche Krimis geeicht sind. Bei uns wird auffällig wenig geredet. Deutsche Krimis zeichnen sich oft dadurch aus, dass viel über den Fall und die potenziellen Täter geplappert wird. Bei uns verfolgt man anfangs nur einen wenig redseligen Mann, der fieberhaft versucht, eine Frau zu finden, die als verdeckte Ermittlerin ins Amsterdamer Drogen-Milieu eingeschleust wurde. Dass die beiden nicht nur Kollegen, sondern heimliche Geliebte sind, darf niemand wissen. Das gibt dem Thriller einen zusätzlichen Twist.

prisma: Was interessiert Sie an verdeckten Ermittlern?

Jaenicke: Das Schizophrene an deren Leben. Diese Ermittler nehmen eine komplett fremde Identität an und müssen die bedingungslos durchziehen. Weil es tödlich enden kann, wenn man einen Fehler macht. Ich habe einen Bekannten, der jahrelang als verdeckter Ermittler arbeitete. Er stieg irgendwann aus, weil er dieses Leben nicht mehr ausgehalten hat. Jetzt ist er Ausbilder. Als er noch im Einsatz war, durfte er über lange Zeit seine Frau und die damals noch kleinen Töchter nicht sehen. Es hat ihn zerrissen. Man lebt eine sogenannte "Legende", auch was die eigene Vergangenheit und Kindheit betrifft. Wer sich einmal verplappert, fliegt auf und ist tot.

prisma: Warum machen Menschen so etwas?

Jaenicke: Es gibt zwei Sorten VEs. Die einen werden aus der kriminellen Szene rekrutiert. Da läuft bekanntlich öfter was schief. Der Skandal rund um den NSU ist ein Musterbeispiel. Dann gibt es Ermittler, die direkt von der Polizei kommen. Diese Variante ist aufwendiger, aber zuverlässiger. Aber warum macht man so etwas? Es hat sicher mit Adrenalin-Sucht zu tun. Man muss es mögen, ständig in Lebensgefahr zu schweben. Vielleicht muss man es auch mögen, Leuten etwas vorzuspielen. Insofern gibt es einen direkten Bezug zur Schauspielerei. Wenn ich jedoch eine Rolle spiele, gehe ich nach dem Drehtag nach Hause und bin wieder ich selbst. Die VEs sind manchmal zwei oder drei Jahre lang im Einsatz mit ihrer falschen Identität.

prisma: Kommen wir zu Amsterdam. Die Stadt sieht in den beiden Filmen nicht wie ein Postkartenmotiv aus, sondern ziemlich düster. Ist auch das ein neuer ästhetischer Kniff des Donnerstags-Krimis?

Jaenicke: Wir drehten von November bis Februar dieses Jahres. Es herrschte drei Monate Dauerregen. Ich kann mich an keinen einzigen sonnigen Tag erinnern. Da ziehe ich meinen Hut vor der holländischen Crew. Sie war extrem locker und gutgelaunt – trotz der widrigen Umstände. Weil wir so lange gebraucht haben, gute Drehbücher zu entwickeln, wurde der Dreh immer wieder verschoben. Eigentlich sollte im Sommer gedreht werden – und natürlich waren holländische Postkartenmotive geplant. Erst war es der Sommer 2016, dann 2017, schließlich 2018 – und daraus wurde dann noch der Winter.

prisma: Aber passen die Bilder nicht gut zur Geschichte?

Jaenicke: Sehr gut sogar. Amsterdam ist auch ohne Laub und mit grauem Himmel immer noch eine wunderschöne Stadt. Wer braucht schon Tulpenblüte und sich drehende Windmühlen in einem Thriller? Stattdessen sind wir meines Wissens der einzige deutsche Film dieses Genres, der eine große Liebesgeschichte erzählt. Wahrscheinlich die holprigste Liebesgeschichte aller Zeiten ... (lacht).

prisma: Die ersten beiden Amsterdam-Krimis erzählen einen Fall. Es ist im Prinzip ein horizontal erzählter Zweiteiler. Soll es in dieser Art weitergehen?

Jaenicke: Der erste Fall ist nach zwei Filmen abgeschlossen, aber die Situation der Figuren am Ende bleibt offen. Für den Fall, dass wir gute Quoten haben und weitermachen dürfen, planen wir schon eine Fortsetzung. Es soll um die Ermordung kritischer Journalisten in Europa gehen. Auf Malta und in der Slowakei wurden Journalisten getötet, die interessanterweise allesamt an der Aufdeckung der Panama- und Paradise -Papers mitgearbeitet haben. Nach ihrer Ermordung ist erschreckend wenig passiert. Offenbar gibt es auch in Europa ein gewaltiges Korruptions- und Steuerhinterziehungs-Problem. Eine solche Geschichte würde ich gern erzählen.

prisma: Haben Sie eine besondere Beziehung zur Stadt Amsterdam?

Jaenicke: Ich kenne Holland seit meiner Kindheit und hatte vor diesem Dreh zwei Assoziationen. Zum einen die zu meiner Großmutter. Sie mietete, als meine Geschwister und ich klein waren, in den Sommerferien immer eine Wohnung in Domburg an der Nordsee. Wir waren jeden Sommer dort. Mit Eimerchen, Schäufelchen und Stoffdrachen. Ich liebe die Nordsee bis heute.

prisma: Und die andere Assoziation?

Jaenicke: Da ich den größten Teil meines deutschen Lebens in Köln verbracht habe, kannte ich auch Amsterdam ziemlich gut. Früher ist man schnell mal hingefahren – aus den bekannten Gründen. Dort konsumierte man ungestört Dinge, die in Deutschland bis heute illegal sind. Später hat mich eher die Stadt selbst interessiert. Ich bin ein großer Fan der holländischen Mentalität, der Entspanntheit dort. Von ihr könnten wir Deutschen uns gelegentlich eine Scheibe abschneiden. Außerdem haben die Niederländer ein großes Talent, ihre alten Städte zu erhalten, ohne dass sie museal oder kaputt saniert wirken. Im Gegenteil. Selbst in der Provinz ist eine Stadt schöner als die andere: Haarlem, Maastricht, Utrecht oder Leeuwarden zum Beispiel.

prisma: Was gefällt Ihnen vor allem an den holländischen Städten?

Jaenicke: Die Kunst des Sanierens. Die Holländer lassen von außen das 17. Jahrhundert stehen, absolut unverändert. Doch wer ein Gebäude betritt, ist plötzlich im 21. Jahrhundert. Man lebt innen ganz modern, bewahrt aber außen Städte, die genauso aussehen wie vor 400 Jahren. Ich kenne keinen Ort der Welt, wo das ästhetisch so gut gelingt. Holland ist unser Nachbarland – trotzdem ticken die dort komplett anders als wir.

prisma: Warum eigentlich?

Jaenicke: Keine Ahnung, aber es ist sehr auffällig. In über drei Monate Drehzeit habe ich am Set kein einziges lautes Wort gehört. Die Menschen sind auffallend tiefenentspannt. Sie stressen nicht rum und haben einen fast britischen Humor. Vielleicht liegt es daran, dass sie immer eine Seefahrer-Nation waren und schon früh die ganze Welt bereist haben. Vielleicht hat es aber auch mit der Marihuana-Freigabe vor über 40 Jahren zu tun ...

prisma: Trotzdem durften die holländischen Schauspieler im Amsterdam-Krimi nicht ihre eigene Sprache sprechen!

Jaenicke: Darüber wurde ebenfalls drei Jahre lang diskutiert. Es gibt offenbar immer noch ein Problem in der deutschen TV-Primetime, untertitelte Dialoge zu zeigen. Ich hätte es gerne so gemacht, dass die holländischen Kollegen untereinander ihre Sprache sprechen – und mit mir Deutsch reden. Viele Holländer können ja Deutsch, es wäre also glaubhaft gewesen. Wir haben einen guten Kompromiss gefunden: Die durchweg großartigen niederländischen Kollegen sprechen alle mit ihrem holländischen Akzent Deutsch – was total authentisch wirkt. Wenn in Istanbul, Kroatien oder Venedig alle Türken, Kroaten und Italiener perfektes Hochdeutsch reden, weil sie von deutschen Schauspielern verkörpert werden, finde ich das als Zuschauer immer ziemlich merkwürdig.

prisma: Kommen wir zu einem anderen Thema, Ihren Tier- und Umweltfilmen im ZDF. Zuletzt kümmerten Sie sich im Oktober um Geparden ...

Jaenicke: Ja, weil nur die wenigsten Leute wissen, dass es nur noch knapp 7.000 Geparden gibt. Man muss davon ausgehen, dass diese Tiere aussterben werden. Das einzige Land, wo sie derzeit noch eine Chance haben, ist Namibia. Es ist – im Gegensatz zu Tigern und Löwen – extrem schwer, Geparden zu züchten. Sie verlieren in Gefangenschaft ihren Fortpflanzungstrieb. Andererseits brauchen sie in freier Wildbahn riesige Reviere, die durch Industrialisierung und Agrar-Industrie fast überall verloren gehen. Die Entwicklung der Welt läuft quasi gegen diese wunderschönen Raubkatzen.

prisma: Welche Ihrer Tierschutz-Dokumentationen hatte bisher die größte Wirkung?

Jaenicke: In Sachen Spendenvolumen war es der Orang-Utan-Film. Da kam tatsächlich ein siebenstelliger Betrag zusammen. Ich denke auch, dass der Hai-Film viel gebracht hat. Damals sprach mich beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis in Düsseldorf ein REWE-Manager an, der unseren Film gesehen hatte. Er sagte mir, dass sie seitdem ihren Einkauf mit dem WWF koordinieren und nur noch Fisch anbieten, der nach dem Naturschutz-Zertifikat MSC gefangen wurde. Dazu verkaufen viele Läden wie zum Beispiel das KaDeWe in Berlin seitdem keine Haiprodukte mehr. Im Gegensatz dazu hat der Eisbären-Film in Sachen Klimaschutz relativ wenig bewirkt. Wenn ich auf die Straße schaue, hat die Zahl der SUV-Fahrzeuge nicht ab-, sondern rasant zugenommen.

prisma: Wissen Sie schon, was Sie in der nächsten Produktion zum Thema machen?

Jaenicke: Ja, der Film ist schon abgedreht. Er wird "Im Einsatz für Vögel" heißen und behandelt das Aussterben unserer Sing- und Zugvögel. Es ist still geworden morgens in Deutschland. Die wenigen Vögel, die unsere Agrar-Industrie mit ihrem massiven Pestizid-Einsatz überleben, werden bei ihrer Wanderung in den Süden dann in Malta, Zypern, Griechenland, Italien und Spanien mit den fiesesten Methoden gefangen, um für etwa 300 Euro pro Gedeck interessierten Feinschmeckern serviert zu werden. Und es wird kaum etwas dagegen unternommen.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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