Film bei ARTE

"Foxtrot": Tanz durch die Hölle

von Andreas Fischer

Mit 18 Jahren ist der Sohn von Dafna und Michael gefallen. Für sein Land, für Israel. Das fesselnde Drama "Foxtrot" behandelt mit visueller Brillianz und bizarren Szenen Tabuthemen der israelischen Gesellschaft.

ARTE
Foxtrot
Drama • 26.08.2020 • 20:15 Uhr

Das Tor zur Hölle ist nur ein Klingeln entfernt: Als die Soldaten läuten, fällt die Mutter in Ohnmacht, der Vater in Agonie. Ihr Sohn Jonathan ist tot. Mit gerade mal 18 Jahren gefallen für sein Land, berichten die Militärs mit bürokratischer Empathie. Sie haben den Teufel im Schlepptau, der im Film des Israelis Samuel Maoz ("Lebanon") das ganze Land diabolisch grinsend im Würgegriff hält. In der Free-TV-Premiere auf ARTE gibt es keine Chance zu entrinnen: Maoz hat seinem preisgekrönten Drama "Foxtrot" den Titel eines Standardtanzes gegeben. Beim Foxtrott landet man am Ende, egal wie man tanzt, immer am Ausgangspunkt.

Maoz tanzt seinen "Foxtrot" mit unbedingtem Stilwillen und einigen Finten, springt vor und zurück in der Zeit und landet am Ende doch wieder nur in der Hölle. Er hat seinen Film in drei Akte unterteilt, die sich in ihrer visuellen Ästhetik stark unterscheiden, in ihrer erzählerischen Dichte aber nicht. Allesamt setzen sie sich in komplexer Beiläufigkeit mit Tabuthemen der israelischen Gesellschaft auseinander, was im Heimatland des Regisseurs für Kontroversen sorgte. "Foxtrot" aber nur als Kritik am Militärgehabe Israels zu sehen, wäre zu kurz gegriffen.

Natürlich ist es befremdlich, wie durchchoreografiert die Abläufe in der Armee sind, wenn ein Soldat stirbt. Die Überbringer der Todesnachricht mögen höflich und betroffen sein, sie folgen aber nur einem Protokoll. Der Tod ist für sie Routine, dass sich die Hinterbliebenen ihres Schmerzes irgendwie erwehren müssen, haben sie vergessen zu akzeptieren.

Dafna (Sarah Adler) und Michael (Lior Ashkenazi) gehen sehr unterschiedlich mit der Nachricht vom Tod ihres Sohnes um. Die Mutter flieht vor dem Schmerz in eine anhaltende Ohnmacht, der Vater wütet gegen sich selbst, den Familienhund und Verwandte. Dem Schmerz entkommen sie aber nicht, genauso wenig, wie die Zuschauer. Maoz verweigert dem Publikum mit präzisen Bildern die Distanz, bevor er im zweiten Akt die Zeit zurückdreht und der Film weiter und heller wird.

An einem unwirtlichen Grenzposten zwischen Westjordanland und Israel verrichtet Jonathan (Yonatan Shiray) seinen Dienst. Auf beiden Seiten des Schlagbaums ist nichts außer Staub. Das Kamel, das täglich zweimal vorbeitrottet, darf die Grenze ungehindert passieren, die wenigen Menschen werden streng und mit vorschriftsmäßigen Demütigungen kontrolliert. Viel zu tun haben die vier Soldaten, allesamt noch grün hinter den Ohren, nicht. Sie versinken in Langeweile wie ihr Wohncontainer im Morast.

Trotzdem ahnt man in jeder Einstellung, dass etwas Schreckliches passieren wird. Wut und Hass sind Alltag im Nahen Osten, darunter leiden Israelis und Palästinenser gleichermaßen. Und sie sind hilflos – was Maoz in einer sehr eindrücklichen Szene zeigt, die das ganze Trauma der Jugend auf beiden Seiten in wenigen Filmminuten konzentriert. Wut, Trauer und Hilflosigkeit – im Schlussakt bleibt Dafne und Michael nur ein Joint, um damit klarzukommen. Den Teufel können sie damit freilich nicht vertreiben.

Trotz viel Kritik und teils sogar Boykottaufrufen aus dem konservativen Lager Israels, erhielt der Film acht Ophir Awards, die "Oscars" der nationalen israelischen Filmakademie. Unter anderem wurde "Foxtrot" als bester Film und für den besten Hauptdarsteller ausgezeichnet.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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