"''Blut und Boden'. Nazi-Wissenschaft"

Massenmord im Zuge eines pseudowissenschaftlichen Rassenwahns

von Wilfried Geldner

1935 gründete der SS-Reichsführer Heinrich Himmler eine teuflische Organisation, die sich "Ahnenerbe" benannte. Mit ihr wurde der Grundstein für die folgenden Massenmorde an den "Nichtariern" gelegt und pseudowissenschaftlich begründet, wie diese ARTE-Doku belegt.

ARTE
"Blut und Boden". Nazi-Wissenschaft
Dokumentation • 28.05.2019 • 20:15 Uhr

Bei der Befreiung Straßburgs im November 1944 machten amerikanische Soldaten in der Anatomie der Universität einen grausamen Fund: Leichenteile, die von den medizinischen Experimenten eines Wahnsinnigen namens Dr. August Hirt übrig geblieben waren. In der großen ARTE-Dokumentation "'Blut und Boden'. Nazi-Wissenschaft" (Deutsche Erstsendung) schließt sich am Ende der Kreis von den Anfängen einer pseudowissenschaftlich belegten arischen Überlegenheit bis hin zu den grausamen Konsequenzen, die der Reichsführer SS Heinrich Himmler seit 1935 verfolgte.

Mit der "Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe" versammelte Himmler zahlreiche Wissenschaftler um sich, die vor allem in den Disziplinen Archäologie, Biologie und Medizin die Überlegenheit des germanischen Herrenmenschen gegenüber anderen "Rassen" belegen sollte. Ein kaum bekanntes Detail der nationalsozialistischen Rassenideologie wird auf bedrückende Weise anschaulich gemacht.

Es beginnt mit geradezu komödiantischen Aufnahmen von Nazi-Dokumentationen. Auf Himmlers und des von ihm installierten Chefs der Organisation "Ahnenerbe" Wolfram Sievers' Geheiß wurden von Archäologen Ausgrabungen betrieben, die anhand prähistorischer Funde den Ursprung aller Völker im Germanischen belegen sollten. Germanen in der Mitte Europas. Slawen, Kelten, Griechen und Römer drum herum. Nazi-Wissenschaftler behaupten in den Filmen – und wer wollte sie zu Zeiten der alles bestimmenden Diktatur daran hindern -, dass selbst die Grabfunde im alten Ägypten in Germanien ihren Ursprung hatten. In Propagandafilmen wurde "der Durchbruch der stolzen Erkenntnis" gefeiert, "dass germanische Vorfahren eine hohe Kultur ihr Eigen nannten, die selbst in den klassischen Kulturen des alten Ägypten nachweisbar ist".

Die Beweisaufnahme der arischen Überlegenheit machte an den Grenzen Europas nicht Halt. Expeditionen ins Hochland von Tibet, aber auch die Entdeckung der japanischen Samurai wurden zur Untermauerung der Rassenideologie benutzt. Die Schublehre für Schädelabmessungen war dabei immer im Gepäck der Forscher. Rührend allerdings Himmlers Abmahnung an die Wissenschaftler, doch im Norden Europas bei der Abbildung germanischer Götter herauszufinden, wo überall "der Begriff des Blitzstrahls, des Donnerkeils, des Thorhammers auftritt". Die aus dem Faustkeil des Donnergottes Thor hervortretenden Blitze setzten angeblich eine bei den Urvätern "unerhörte Kenntnis der Elektrizität" voraus.

Noch selten war die Methode der Nationalsozialisten besser zu begreifen als in dieser anschaulichen Dokumentation (Autor: David Korn-Brzoza). Macht und Wahn gingen unter den Nazis eine teuflische Verbindung ein. Auch Ausschnitte der gewaltigen Aufmärsche von SS und Wehrmacht nach römischem Vorbild zeugen davon. Dass sich aber in Himmlers Verein "Ahnenerbe" so viele Wissenschaftler verdingten, wirft bis heute ein schlechtes Licht auf die deutsche Wissenschaft insgesamt. Man wollte dazugehören, Auslöser waren letztlich Karriere- und Machtbewusstsein unter dem Schirm einer allumfassenden Ideologie.

Die Massenmorde der Waffen-SS und der Einsatzgruppen im Osten nach Kriegsbeginn wurden mit völkischer Pflicht begründet. Wissenschaftler, Juristen, Historiker und Germanisten waren stets dabei. Plünderungen galten als "Rückführung" von Kulturgut. Die Mörder sahen sich im Dienst einer im völkischen Sinne zweckmäßigen Sache. Dieser Wahn hielt bis zuletzt – von den instrumentalisierten Runen der Wikinger, bis zur Gaskammer, die der Straßburger Anatom August Hirt zu unmenschlichen Forschungszwecken und nicht zuletzt zur Vervollständigung seiner Schädelsammlung installierte. Hirt entzog sich seiner Verurteilung und erschoss sich 1945 auf der Flucht vor den Alliierten, wie man erst später erfuhr.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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