Satire über den Flowtex-Skandal

"Big Manni" – ein "Sonnenkönig" und Betrüger

von Eric Leimann

In den 90ern fügte das Unternehmen Flowtex dem deutschen Staat einen Schaden von fünf Millarden D-Mark zu – der bis dahin größte Wirtschaftsskandal der Nachkriegszeit. Hans-Jochen Wagner spielt in der Satire "Big Manni", die den Fall thematisiert, die Hauptrolle.

Mit Horizontalbohrern, die das Baugeschäft weltweit revolutionieren sollten, glaubte der baden-württembergische Unternehmer Manfred Schmider während der 90er, ein neues Weltunternehmen aufzubauen. Zumindest machte "Big Manni" das seine Anhänger und Financiers glauben. In Wirklichkeit gab es den größten Teil seiner angeblich bereits produzierten Maschinen gar nicht. Fünf Milliarden D-Mark Schaden verursachte Schmiders Unternehmen Flowtex, es war der bis dahin größte Wirtschaftsskandal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Für die bittergrelle Kapitalismus-Satire "Big Manni" (Dienstag, 1. Mai, ARD) schlüpfte der Schwarzwälder "Tatort"-Kommissar Hans-Jochen Wagner (50) in die Rolle jenes "Machers", in dessen Visionen von unermesslichem Wohlstand sich seinerzeit viele sonnten – darunter Geschäftspartner, Banken und Politiker.

prisma: "Big Manni" erzählt eine der größten Wirtschaftsbetrügereien der deutschen Geschichte. Kann man den Fall nur in eine Groteske verpacken, weil er so absurd ist?

Hans-Jochen Wagner: Ich finde, die Komödie ist ein richtiger Ansatz. Zum einen, weil es bereits Dokumentationen gibt, die den Fall sachlich aufarbeiten. Zum anderen, weil damals – bis auf den Steuerzahler – niemand so schlimm geschädigt wurde, dass sich ein Lachen darüber verbietet. Der Skandal war bereits als reale Vorlage eine gigantische Inszenierung, eine große Show. Da liegt ein satirischer Ansatz ziemlich nahe.

prisma: Warum war der echte Big Manni so erfolgreich?

Wagner: Er war ein Sonnenkönig, in dessen Licht sich die Leute wärmten. Er erschien als Messias des baden-württembergischen Unternehmertums. Viele Leute – und in dieser Region vielleicht sogar ein bisschen mehr – träumen von einem Weltunternehmen aus der eigenen Provinz. Insofern fiel die Big Mannis Inszenierung auf fruchtbaren Boden. Geschäftspartner, Banken, Politiker – sie alle fielen auf ihn herein. Man wollte einfach an ihn und seine Geschichte glauben.

prisma: Sie sagen, niemand wurde ernsthaft geschädigt. Trotzdem berichten viele Hochstapler-Opfer von einer großen Scham, die sie lange begleitet. Ist das der größte menschliche Schaden?

Wagner: Ich will den Schaden, den Big Manni angerichtet hat, nicht verharmlosen. Ich vergleiche das Ganze nur mit Kapitalverbrechen, also schwerer Gewalt, wo ein satirischer Ansatz schwierig gewesen wäre. Am meisten tun mir die Kinder von Big Manni leid. Es muss schlimm sein, als Teil einer Inszenierung aufzuwachsen, die die eigenen Eltern gegenüber den Kindern als Lügengebäude durchziehen. Aber das ist nur meine persönliche Meinung.

prisma: Muss man Manfred Schmider verstehen, wenn man ihn spielt. Darf er einem vielleicht sogar leidtun – wegen der enormen Selbsttäuschung?

Wagner: Ich habe ihn nicht kennengelernt und wollte das auch nicht. Nach allem, was ich gelesen habe, darf sich unser Mitleid in Grenzen halten. Der Mann hat nicht unbedingt eine Katharsis durchgemacht. Er versuchte sogar noch vom Gefängnis aus, illegal und hinten herum Kasse zu machen. Ich glaube, er ist eher ein bisschen beleidigt, weil man sein Gesamtwerk – in seinen Augen – nicht ausreichend würdigte. Eine nicht untypische Sicht notorischer Hochstapler.

prisma: Stellt der Film uns Menschen ein schlechtes Zeugnis aus, weil die hervorstechende Eigenschaft fast aller Charaktere die Gier ist?

Wagner: Der Film zeigt die meisten Figuren nur als öffentliche Personen. Selbst Manni wird im Privaten nur über wenige Szenen porträtiert. Es ist eine Entscheidung des Drehbuchs, das sehr viel Personal aufruft. In 90 Minuten die sehr komplexe Geschichte eines über viele Jahre aufgebauten Betrugs zu zeigen, ist eben auch ein bisschen die Entscheidung gegen das ganz feine Psychogramm. Und oberflächlich betrachtet sind diese Menschen eben vor allem gierig.

prisma: Im Film heißt es, "die Leute glauben nicht, was sie sehen – sie sehen, was sie glauben". Ist es das, was man aus der Geschichte mitnimmt?

Wagner: Philosophisch betrachtet, würde ich sagen: Ja, das ist die Erkenntnis dieser Geschichte. Ich finde aber auch wichtig, dass es ein historischer Film ist. Eine Figur wie Big Manni gehört für mich ganz klar in die Nachwendezeit der 90er-Jahre. Es war eine Ära des großspurigen Protzens und des ausgestellten Reichtums. Wir haben zwar in Schmiders Originalvilla gedreht, aber um seinen Reichtum in Gänze zu zeigen, hätten wie noch ein paar mehr Hubschrauber und Lear-Jets benötigt. Das absurde Protzen von Big Manni war in der Realität noch krasser, als wir es im Film darstellen konnten.

prisma: Aber leben wir heute in einer anderen Zeit?

Wagner: Ja, weil die Schere zwischen Arm und Reich deutlich weiter auseinandergegangen ist. Weil heute beispielsweise sehr kritisch über Boni-Zahlungen an Banker und Aufsichtsräte diskutiert wird. Im Vergleich dazu ist man mit den Auswüchsen des Kapitalismus vor 20, 25 noch sehr schamlos oder zumindest naiv umgegangen. Wer heute seinen Reichtum so wie Manni derart raushängen ließe, würde von der Gesellschaft zerlegt werden. Der Film erzählt weniger von der Psychologie eines Menschen als einer Zeit, in der so etwas möglich war.

prisma: Sie haben angedeutet, dass der Film auch etwas mit dieser Region zu tun habe.

Wagner: Na ja, da ist zum einem der Wunsch einer jeden Provinz, sozusagen groß rauszukommen. Man will weltweit bekannt werden, mit einer genialen Idee oder einem Produkt, das aus dem eigenen Städtchen kommt. Big Manni passt aber auch nach Baden, weil es eine katholische Region ist, in der das Verschwenderische – im Gegensatz zum verkniffen protestantischen Schwäbischen, wo ich herkomme – auch ein Teil der Mentalität ist.

prisma: Sie drehten den Film an vielen Originalschauplätzen. War das atmosphärisch wichtig?

Wagner: Ich fand es wichtig – und gut. Allein im Haus des echten Big Manni zu drehen, war eine Inspiration. Zum Beispiel zu merken, wie geschmacklos dort alles war (lacht). Und das, obwohl die Einrichtung natürlich längst eine andere war. Doch allein das protzige Haus oben auf dem Hügel, dazu ein Badehaus aus schwarzem Mamor, das war schon ein Statement. Wir haben aber auch in den Original-Firmenräumen von FlowTex gedreht, auch das hat geholfen. Wobei es dort für ein Weltunternehmen erstaunlich piefig war.

prisma: Die Menschen in der Region dürften nicht unbedingt begeistert über das Filmprojekt gewesen sein. Schließlich wurden sie an Dinge erinnert, die man wahrscheinlich lieber vergessen würde. Haben Sie etwas davon mitbekommen?

Wagner: Nein, als Schauspieler bekommt man so etwas kaum mit. Das trifft eher die Leute von der Produktion. Zum Beispiel jene, die Drehgenehmigungen und Locations organisieren. Trotzdem habe ich während des Drehs viele Leute getroffen, die den echten Big Manni kannten. Fast jeder in der Region hat eine Geschichte zu ihm auf Lager. Vom Piloten, der ihn oft geflogen hatte und ihn ziemlich unsympathisch fand, bis hin zum ehemaligen Mitarbeiter, der mir sagte: Es war die beste Zeit seines Lebens, weil er absurd viel Geld verdiente.

prisma: Das heißt, sie haben eher offene Menschen und wenig Scham vorgefunden?

Wagner: Ja, ich fand, dass die Leute relativ entspannt mit dem Fall umgingen. Die Scham, das Schmallippige und das Verdrängen findet man wohl eher bei Institutionen, die involviert waren. Jene, die damals vielleicht nicht so genau hingesehen haben, weil sie glaubten, im großen Stil zu profitieren.

prisma: Die Drehbuchautoren besuchten den echten Big Manni für diesen Film. Auch die anschließende Dokumentation zeigt ihn. Sie wollten ihn nicht kennenlernen, sagen Sie?

Wagner: Nein, ich hatte nicht den Anspruch, den echten Manfred Schmider zu spielen. Dafür hätte ich auch ein wenig mehr als einen zweistündigen Besuch auf Mallorca mit Roséwein-Trinken auf seiner Terrasse gebraucht. Ich wüsste auch nicht, was es bringen würde, ihn zu kopieren. Ich habe mir viel Bildmaterial zum Fall angesehen. Das reichte, um den Kern des Film und der Figur zu verstehen.

prisma: Der Film ändert zwar den Nachnamen des echten Mannis, aber er ist im Film ja klar zu erkennen. Nicht nur der Spitzname Big Manni, sondern auch der Name von Schmiders Firma FlowTex blieb im Fiktionalen erhalten. Juristisch erstaunlich, oder?

Wagner: Nun, das ist nicht mein Fachgebiet, aber ich fand es auch erstaunlich. Trotzdem war es wohl ein weiter Weg. Sofern ich weiß, hat Schmider das Buch auch gelesen und beispielsweise die Namensrechte für FlowTex abgetreten. Der Tathergang ist – leicht vereinfacht, weil in Wirklichkeit war es wahnsinnig kompliziert – ziemlich eins-zu-eins in ein Drehbuch überführt worden. Wahrscheinlich ging das, weil das Meiste juristisch mittlerweile geklärt ist.

prisma: Die Dreharbeiten waren bereits Mitte 2016 abgeschlossen. Warum hat es so lange gedauert, bis der Film nun gezeigt wird?

Wagner: Ich weiß es nicht genau und habe dazu verschiedene Informationen. Die eine lautete, man müsse noch den Ausgang eines Prozesses in der Schweiz abwarten, weil es ja im Anschluss eine Dokumentation über Schmider läuft, die damals noch nicht fertiggestellt werden konnte. Schmider hatte vier Gemälde von Marc Chagall versteckt, als sein Firmenbetrug aufgeflogen war. Die wollte er vom Knast aus verkaufen. Weil er in die Schweiz umgezogen war, fand dort noch ein Prozess statt.

prisma: Sie selbst sind Schwabe, der Film spielt im Badischen. Die meisten Schauspieler sprechen Dialekt. Wie wichtig war dies für das Projekt?

Wagner: Mir hat es Spaß gemacht und es war auch wichtig für die Figur. Extrem authentisch sind unsere Dialekte aber nicht. Sonst hätte ich als Schwabe ja auch gar nicht mitspielen dürfen (lacht). Dialekte im deutschen Fernsehen sind immer so eine Sache. In den USA wird bei Dreharbeiten extrem darauf geachtet. Da sind immer Dialect Coaches vor Ort. Bei uns glaubt man sich eher selbst so ein bisschen was zusammen. Beim Schwarzwald-"Tatort" stellen wir uns diese Frage auch immer wieder.

prisma: Obwohl Eva Löbau und Sie im Vergleich zu vielen anderen "Tatort"-Ermittlern ja tatsächlich aus der gezeigten Region stammen ...

Wagner: Das stimmt einerseits. Eva und ich kommen zwar aus Baden-Württemberg, aber eben auch nicht exakt daher, wo unsere Figuren herstammen sollen. Das Problem ist: Je mehr man über Dialekte weiß, desto mehr kann man falsch machen. Bei "Big Manni" ist vieles zusammengeklaubt. Die Dialekte sind eher unser Teil der Show, als extrem authentisch (lacht).


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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