19.06.2023 Interview mit Oboistin

Miriam Hanika: „Die Musik ist ganz natürlich Teil meines Lebens“

Von Felix Förster
Miriam Hanika liebt viele Instrumente, wobei sie zur Oboe eine ganz besondere Beziehung hat.
Miriam Hanika liebt viele Instrumente, wobei sie zur Oboe eine ganz besondere Beziehung hat. Fotoquelle: Manuel Nieberle

Miriam Hanika ist Oboistin. Und sie ist Liedermacherin. Vor allem aber ist die studierte Musikerin durch ihren spielenden Wechsel zwischen Gesang, Oboe, Englischhorn und Klavier eine musikalische Ausnahmeerscheinung, die als Multiinstrumentalistin neue Maßstäbe setzt und keine Genre-Grenzen kennt. Wie auch immer man Miriam Hanika bezeichnet, eines ist klar: Diese Musik passt in keine Schublade – und dafür wäre sie auch viel zu schade. prisma hat mit der Musikerin anlässlich ihres neuen Albums „Wurzeln & Flügel“ gesprochen.

Sie sind ein musikalisches Multitalent. Wann wurde Ihnen klar, dass Sie ein Händchen für Musik haben?

Miriam Hanika: Einen Moment, wo mir das schlagartig klargeworden ist, gab es nicht wirklich – das war oder ist eher ein langer Prozess. Mit drei Jahren saß ich mit meinen Eltern, die beide Musiklehrer sind, am Klavier und kurze Zeit später bin ich mit meiner großen Schwester in den Kinderchor gegangen. Damals war ich bereits sehr fasziniert von Musik, und sie war ganz natürlich Teil meines Lebens. Dass ich meine eigenen Lieder in den Fokus stellen und nicht hauptberuflich Orchestermusikerin werden will, habe ich dagegen erst Richtung Ende meines Studiums der Oboe entschieden. Dafür war es dann aber eine sehr bewusste und intensive Entscheidung. Dazwischen lagen viele Jahre, wo ich mich musikalisch suchen und definieren konnte.

Sie spielen auf Ihrem neuen Album Oboe, Englischhorn, Klavier, und zudem singen Sie. Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit als Komponistin aus?

Miriam Hanika: Wenn ich komponiere, arbeite ich sehr intuitiv. Da ich mehrere Instrumente spiele und meine Texte noch eine zusätzliche Komponente mit ins Spiel bringen, kann ich jeden Tag anders beginnen und meine Lieder immer von einem anderen Punkt aus schreiben. Das macht sehr viel Spaß und sorgt dafür, dass mir eigentlich nie langweilig wird. Wenn mir mal die Worte fehlen, dann schreibe ich ein Instrumentalstück für Oboe oder Englischhorn. Und manchmal gibt es auch Lieder, wo ich von vorne herein weiß, dass da die Oboe auch mal Pause hat und der Text für sich alleine stehen darf.

Wo würden Sie „Wurzeln und Flügel“ in Ihrer Karriere einordnen?

Miriam Hanika: „Wurzeln und Flügel“ ist ein Album, das mich tatsächlich geerdet und mir gleichzeitig Flügel verliehen hat. Ich habe das Gefühl, dass ich musikalisch einerseits da angekommen bin, wo ich schon immer hinwollte, andererseits habe ich Lust, jede Menge neue Dinge auszuprobieren und bin richtig neugierig auf die Zukunft. Ich denke, richtig einordnen kann man das Meiste erst im Nachhinein, aber es fühlt sich so an, als hätte ich mit „Wurzeln & Flügel“ etwas geschaffen, was mir wirklich entspricht. Und das war und ist mir immer sehr wichtig, dass ich als Künstlerin authentisch sein kann und keine mir selbst auferlegte Rolle spielen muss.

Der Titel des Albums setzt sich aus zwei scheinbar gegensätzlichen Begriffen zusammen. Wie bringen Sie Wurzeln und Flügel zusammen – als Heimat und Freiheit?

Miriam Hanika: Heimat und Freiheit, Reisen und Ankommen, Loslassen und Festhalten – das sind alles Gegensätze, die aber doch zusammengehören, genauso wie Wurzeln & Flügel. Meine Generation konnte in die ganze Welt hinaus schwärmen, studieren, lernen, arbeiten, weit weg vom alten Zuhause ein Leben aufbauen. Ich bin mittlerweile an einem Punkt angekommen, wo ich manchmal bedaure, dass meine Kinderheimat und damit auch meine Familie sehr weit weg sind. Das erinnert mich aber auch daran, dass ich mich glücklich schätzen kann, so eine Heimat überhaupt zu haben und wie dankbar ich dafür sein muss, dass ich von meiner Familie Flügel und Freiheit nicht nur im musikalischen Sinne bekommen habe.

Die Aufnahmen waren sehr aufwendig mit einem insgesamt elfköpfigen Ensemble. Wie schwierig ist es da, das Klangbild, das einem vorschwebt, umzusetzen?

Miriam Hanika: Eigentlich war das Umsetzen der leichteste Part, denn ich habe wirklich fantastische Musiker, die das mit mir gemeinsam machen. Schwierig finde ich oft, ein Klangbild während des Arrangierens im Kopf zu haben, solange man die Musik noch nicht wirklich gehört hat. Ist sie dann aber fertig aufgeschrieben, dann laufen bei der ersten Probe im Idealfall alle Fäden ziemlich schnell zusammen. Das ist bei „Wurzeln & Flügel“ zum Glück genauso gewesen.

Ihre Texte sind einerseits philosophisch angehaucht, kommen aber mitunter auch im positiven Sinne unprätentiös daher. Wo verorten Sie sich als Liedermacherin?

Miriam Hanika: Ich liebe Philosophie und Poesie, aber ich maße es mir nicht an, Antworten zu geben. Ich weiß auch nicht mehr, als jeder andere Mensch auf dieser Erde, aber ich denke vielleicht verhältnismäßig viel über ungewöhnliche Themen nach, wenn ich meine Lieder schreibe. Mir ist es wichtig, dass ich nicht wirke, als wäre ich über irgendetwas oder jemanden erhaben. Als Liedermacherin sehe ich mich somit auch zwischen Poesie, Philosophie und Politik. Wobei ich das Wort Politik gerne durch Humanismus ersetze, denn ich fühle mich nicht einer bestimmten politischen Richtung zugeordnet. Politisch in diesem Sinne werde ich immer dann, wenn ich den Humanismus, den ich für das wichtigste Zielt der Menschheit überhaupt halte, in Gefahr sehe. Ich glaube, dass der Humanismus allgemeingültig und zeitlos ist. Politik dagegen ist es nicht. Zusammengefasst würde ich mich also als humanistische Liedermacherin bezeichnen.

Sie bilden mit Sarah Straub und Tamara Banez das Trio „Hanika Straub Banez“ und bieten dort textlich eine politische, kritische und feministische Sicht auf die Welt. Worin unterscheidet sich diese Arbeit von Ihren Solowerken?

Miriam Hanika: Als Trio schreiben wir nur sehr wenig gemeinsam, wir arbeiten so, dass jede Lieder mit in das Projekt bringt, die man auch als Solokünstlerin spielt. Daraus machen wir dann etwas Gemeinsames, was sehr viel Spaß macht und außergewöhnlich ist. Drei so unterschiedliche Frauenstimmen zusammen zu bringen, sorgt auch bei uns immer wieder für Gänsehaut. Es ist schön die Lieder so nackt, also ohne Band und nur mit Klavier, dafür aber mit drei Frauenstimmen auf die Bühne zu bringen. Und es tut gut, sich gegenseitig zu unterstützen, sich auszutauschen und voneinander zu lernen. Für uns Frauen gibt es in unserem Bereich ja gar nicht so viele weibliche musikalische Vorbilder, zu denen wir aufblicken können. Es gab zwar im 20. Jahrhundert viele bekannte Sängerinnen, aber die Wenigsten von ihnen waren unabhängige Köpfe ihres eigenen Projekts. Deshalb ist es umso wichtiger, dass man sich jetzt unter Frauen zusammenschließt und Netzwerke bildet.

Bei Ihnen verschmelzen klassische Musik und Pop zu einer Einheit. Wo sehen Sie die Klassik in der Gesellschaft verortet?

Miriam Hanika: Nach meinem klassischen Musikstudium habe ich mich aus vielen Gründen bewusst dagegen entschieden, als reine klassische Orchestermusikerin aktiv zu bleiben. Die Musik an sich ist nicht abgehoben, aber die Gesellschaft hat sie in einen elitären Kontext gestellt, der dazu führt, dass sich nur bestimmte Schichten diese Musik leisten wollen. Das finde ich schade, denn meiner Meinung nach gehört auch die Klassik in die Mitte der Gesellschaft. Mozart selbst war zu seiner Zeit ja zum Beispiel eher ein Popmusiker, als ein gediegener Komponist. Bach hat in der Kirche, also nah an seinem Publikum, komponiert und gewirkt und war nicht nur einem Kreis Intellektueller vorbehalten. Darüber hinaus konzentriert man sich in der klassischen Musikszene leider sehr stark auf die Vergangenheit. Es ist wichtig, dass wir die Schätze aus vielen Jahrhunderten Musikgeschichte nicht vergessen, aber auch klassische Musik entwickelt sich in der Gegenwart weiter und darf nicht als etwas Abgeschlossenes betrachtet werden.

Ihre Musik wird häufig als Kammermusik bezeichnet. Was bedeutet Ihnen die Tradition des gemeinsamen „weltlichen“ Musizierens?

Miriam Hanika: Ich schreibe und texte allein und spiele auch gern Solo-Konzerte. Aber es ist für mich eigentlich wie ein Wunder, mit anderen Musikern zusammenzuspielen. Kammermusik hat für mich persönlich nicht unbedingt etwas mit klassischer Musik zu tun – für mich passiert Kammermusik dann, wenn ich Menschen finde, mit denen ich eine gemeinsame musikalische Sprache teile und für die die Musik, wie für mich, einfach etwas unbeschreiblich Schönes und gleichzeitig Herausforderndes ist. Kammermusik ist also auch ein großer Kontrast: Gemeinsam Musik machen heißt, den anderen so zu lassen wie er ist, und sich dennoch gegenseitig zu befeuern, das Beste aus sich herauszuholen. Sie ist ein ständiger Dialog ohne Worte und ich glaube, das macht sie auch für mich, die sich auch mal gerne in Worten verliert, so interessant.

Sie haben in der Vergangenheit mit Konstantin Wecker kooperiert, er gilt als Ihr Förderer. Was verbindet Sie mit ihm?

Miriam Hanika: Ich bin Konstantin sehr dankbar, dass ich auf seinem Label einfach so sein kann, wie ich eben bin. Ich muss in keine Schublade passen und darf machen, wonach mir der Sinn steht – das ist keine Selbstverständlichkeit in der Musikindustrie. Wenn ich morgen die Idee habe, dass ich jetzt ein Album mit Dudelsack aufnehmen will, dann weiß ich, Konstantin würde das veröffentlichen, solange es gut ist. Konstantin ist, wie ich, klassisch am Klavier ausgebildet. Manchmal sagen mir die Leute in den Konzerten, dass man diese Gemeinsamkeit oft heraushören kann. Das liegt sicherlich auch daran, dass es nur wenige Liedermacher gibt, die vom klassischen Klavier kommen. Ich freue mich immer über diese Komplimente, auch wenn es mir nie in den Sinn käme ihn zu kopieren und er das auch nie von mir erwarten würde.

Wir haben ihn während der Corona-Zeit interviewt, und in diesem Gespräch zeigte er sich einerseits sehr besorgt darüber, was die Lockdowns mit der Kultur machen, aber anderseits motiviert, neue Ideen zu entwickeln. Sie sind mit ihm aufgetreten, wie waren diese Auftritte für Sie?

Miriam Hanika: Wir alle haben in dieser Zeit mit großen Fragen gekämpft. Jeden Musiker, egal in welcher Liga, haben die gleichen Themen beschäftigt. Ich fand es grandios, dass Konstantin in dieser Zeit so viel Initiative gezeigt hat und auch uns damit suggerierte, dass es weitergeht. Künstler haben es schon immer schwer gehabt, und jeder muss von Zeit zu Zeit um seine Kunst, oder auch mal ums Überleben kämpfen. Mir haben die Auftritte mit ihm in dieser Zeit Mut gegeben, genau das zu tun und nicht zu viel nach rechts und links zu schauen oder sich von Ängsten und Sorgen einnehmen zu lassen.

Wann und wo kann man Sie live erleben? Auf was können sich die Zuhörer da freuen?

Miriam Hanika: Ich war und bin dieses Jahr in ganz Deutschland unterwegs. Meistens als Trio mit meinem Pianisten Misha Antonov und meiner Cellistin Elisa Wallis, die Oboe und das Englischhorn habe ich dann natürlich auch immer dabei. Ab und zu holen wir uns den einen oder anderen Musiker mit auf die Bühne. Ganz besonders wird sicherlich der 28. Juni im Münchner Stadtmuseum, wo wir mit Streichquartett, Harfe, Horn und Jazzquartett das Album dieses Jahr schon zum zweiten Mal in voller Besetzung spielen dürfen. Aber letztendlich ist jeder Abend besonders – gerade die kleinen, intimeren Konzerte bleiben mir manchmal noch ewig im Gedächtnis. Man kann dann ganz persönlich zum Publikum Kontakt aufnehmen, und da ich zwischen meinen Liedern immer viele Geschichten erzähle, ist das besonders schön.

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